Story |

Zu Besuch bei: ViCAFE

Share
Share

Pascal Herzog: «So viele urbane Manufakturen an einem Ort und im Zentrum der Stadt ist nicht selbstverständlich.»

ViCAFE zieht 2023 mit der ganzen Produktion ins Hauptgebäude der Werkstadt. Welche Themen hier in Zürich und auf den Kaffeeplantagen rund um die Welt beschäftigen, erzählt Kaffeebohnen-Einkäufer und Geschäftsleitungsmitglied Pascal Herzog im Interview.

 

ViCAFE in der Werkstadt. Wie wird das aussehen?

ViCAFE soll in der Werkstadt erlebbar werden. Die Menschen sollen sehen, wie wir hier (ver-)arbeiten, und es soll Platz für Events geben.

 

ViCAFE ist heute in einem Nebengebäude der Werkstadt zuhause und zieht 2023 um.

In der Stadt zu produzieren ist kein einfaches Konzept. Bringt es auch Vorteile?

Ja, denn wir können die acht Espresso Bars in Zürich mit dem Lastenvelo und einem kleinen Lieferauto bedienen. Das ist optimal.

 

Was ist das Besondere am Standort?

So viele urbane Manufakturen an einem Ort und im Zentrum der Stadt ist alles andere als selbstverständlich. Wir haben alle den gleichen Spirit, haben sehr ähnliche Vorstellungen von Qualität, Nachhaltigkeit oder Fehlerkultur. Das ist einmalig und eine tolle Chance. Der Einzug aller Manufakturen und die Eröffnung der Werkstadt steht erst noch bevor. Wir sind Teil einer grösseren Transformation, die für uns und für die Stadt sehr positiv ist.

 

Geröstet wird bei ViCAFE auf einer Loring Röstmaschine. Dank speziellem Röstverfahren wird der ökologische Fussabdruck gegenüber einer regulären Röstmaschine um 70% reduziert.

 

Ist Altstetten denn bereit für diese Entwicklung zum Hub urbaner Manufakturen?

Die Offenheit gegenüber diesem Konzept ist sicher vorhanden. Aber es gibt noch Potenzial, was die Umsetzung unserer Bedürfnisse angeht. So zum Beispiel in der urbanen Logistik oder beim fortschrittlichen Recycling, damit wir hier progressiv und effizient arbeiten können. Wir haben grossartige Synergien auf dem Gelände, aber es braucht weitere Schnittstellen mit der Stadt, damit das auch gegen aussen reibungslos läuft.

 

Die Schwesterfirma Vivi Kola wurde schon 1938 in Eglisau gegründet, dann eingestellt und erlebte 2010 ein Revival.

 

ViCAFE eröffnete das erste Kaffeefenster in der Stadt 2014 am Zürcher Goldbrunnenplatz.

 

ViCAFE ist heute eine feste Grösse in der Zürcher Kaffee-Landschaft. Was ist euer Erfolgsrezept?

Wir haben ein Konzept auf die Beine gestellt, hinter dem wir mit Freude und Stolz stehen können. Wir versuchen die Dinge richtig zu machen, ohne gross nach Links und Rechts zu schauen. Das hat sich bewährt.

 

Und wie sieht das in der Praxis aus?

Wir stellen sicher, dass unsere Kaffeebohnen von Farmen kommen, die ökologisch und sozial unseren Werten entsprechen, und stellen Mitarbeiter:innen ein, die einen spannenden Background haben und dieselben Werte leben. In unseren Espresso Bars arbeiten viele junge Leute, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen. Wir sind ihre erste Erfahrung in der Arbeitswelt; und für Kaffeebauern sind wir oft ein seltener Direktkontakt zu eine:r Kaffee-Liebhaber:in. Es ist unsere Verantwortung, ein positives Gefühl bei den Menschen zu hinterlassen. Davon profitieren letztendlich alle.

 

In der Einführungswoche für neue Mitarbeiter:innen lernen die künftigen Baristas bei Chef-Trainer Felix, wofür ViCAFE steht und wie man die Milch richtig aufschäumt.

 

Pascal hat selbst ein Jahr auf einer Kaffeeplantage in Tansania gearbeitet und konnte sich so wichtiges Grundwissen aneignen.

 

Könnt ihr denn mit Kaffeebauern überhaupt auf Augenhöhe kommunizieren?

Wenn erkennbar ist, dass wir in guter Absicht kommen und Kontinuität suchen, ist das schon eine sehr gute Basis. Es ist sehr wichtig, dass wir mit den Kaffeebauern offen über ihre Herausforderungen auf der Farm sprechen können. Zwar gibt es traditionelle Unterschiede, aber die Herausforderungen und Chancen in Tansania sind ungefähr gleich wie in Indien oder Kolumbien.

 

Zum Beispiel?

Beispielsweise hat der Kaffeebauer eine agronomische Idee, die er auf dem Feld ausprobieren möchte, hat jedoch nicht die Mittel oder möchte das Risiko einer Umstellung nicht selbst tragen. Wir suchen dann einen gemeinsamen Weg. Oder wir sprechen auch oft über Kaffeepreise: Welcher Preis erlaubt es einem Bauern oder einer Bäuerin, die Kosten zu decken, zu investieren und einen Profit zu machen? Letztendlich geben wir Impulse und verstehen uns als Facilitator, um die Umstände in kleinen Schritten zu verbessern.

 

ViCAFE bezieht den Kaffee von elf verschiedenen Plantagen auf der ganzen Welt.

 

David packt die sorgfältig gerösteten Bohnen ab: Von der Produktion bis zur Etikettierung entsteht bei ViCAFE alles in Handarbeit.

 

Es gibt sehr viele Kaffeeproduzenten in der Schweiz und weltweit. Was ist euer Alleinstellungsmerkmal?

Wir gehen nicht den einfachen Weg. Wir könnten unsere Bohnen im stillen Kämmerchen in Altstetten via Offertenliste aus Äthiopien oder Brasilien bestellen. Aber wir setzen uns sehr stark mit den Themen vor Ort auseinander. Die ganze Substanz muss für uns stimmen, sonst wären wir einfach ein Marketingkonzept.

 

40% des Bio-Hafers für «Gutsch» kommt vom Birkenhof in Zürich. Der Rest von vielen Schweizer Kleinbauern.

 

Ihr macht jetzt auch Schweizer Bio-Hafermilch. Wie kam es dazu?

Zusammen mit Adrianos in Bern und Kaffeemacher:innen in Basel haben wir eine Genossenschaft gegründet und stellen jetzt «Gutsch» aus 100% Schweizer Bio-Hafer her. Das ist megalässig, denn schliesslich sind wir drei unterschiedliche Röstereien und möchten alle einfach gute Hafermilch haben. Es kann ja nicht sein, dass wir so einen grossen Aufwand für nachhaltigen Kaffee betrieben, und dann Hafermilch mit Getreide aus Deutschland oder Polen verwenden.

 

Nebst Kaffee und Hafermilch gibt es bei euch auch Workshops in der ViCAFE Academy für Kaffeeliebhaber:innen. Was kann man da lernen?

Der Kurs ist gleich aufgebaut wie der, den unsere Baristas bei der Einführung durchlaufen. Man lernt die wichtigste Theorie und Praxis rund um den Kaffee. Das beinhaltet die gesamte Wertschöpfungskette, also wie und wo wird Kaffee angebaut und verarbeitet? Welches sind die Qualitätsmerkmale? Welcher Mahlgrad ist optimal für meinen liebsten Kaffee und wie schäume ich Vollmilch ggü. pflanzlicher Milch optimal auf? Der Kurs findet aktuell hier statt und mit dem Umzug ins Werkstadt-Hauptgebäude haben wir auch dafür mehr Platz und eine tolle Atmosphäre.

 

Im Barista-Kurs lernt man auch, wie das Milchschaum-Herzli gelingt.

 

Zu guter Letzt: Worauf freut ihr euch in der Werkstadt?

Es entsteht ein neuer, enorm attraktiver Raum. Das ist wunderbar für unseren Kaffee und unsere Geschichten. Ich freue mich ausserdem sehr, dass wir dadurch öfters mit den anderen Mieter:innen zusammensitzen und uns austauschen können. Mit ZURIGA als Nachbarin entsteht ja fast so etwas wie ein Schweizer Coffee-HUB.